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Sonntag, 25. November 2012

Wahlzulassung der Piratenpartei in Niedersachsen - zu Recht?



Aufatmen bei der Piratenpartei (sowie den wahlarithmetisch kundigen Teilen der CDU): Die „Piraten“ sind nach anfänglichen Irritationen zu den Landtagswahlen in Niedersachsen mit einem Landeswahlvorschlag zugelassen worden. Hierüber hatte es im Vorfeld der Zulassungsentscheidung einige Diskussionen gegeben, die darauf beruhten, dass Einwendungen gegen die Zulassung erhoben worden waren, die insbesondere damit begründet wurden, dass Bewerbern bei der Kandidatenaufstellung unterschiedlich lange Redezeiten eingeräumt worden seien. Der Landeswahlausschuss hat sich gleichwohl für die Zulassung des Wahlvorschlags entschieden. Nicht überliefert ist, ob die erhobenen Vorwürfe für unzutreffend oder unerheblich gehalten wurden. Die Frage bleibt daher, ob (unterstellte) Unregelmäßigkeiten bei einer Kandidatennominierung ein hinreichender Grund für die Zurückweisung eines Wahlvorschlages sein können.

Innerparteiliche Vorgänge bei der Kandidatennominierung sind erst seit den 90er Jahren ein Thema des Wahlrechts: In Zusammenhang mit der erfolgreich erzwungenen Wiederholung einer Bürgerschaftswahl in Hamburg durch den (vormaligen) CDU-Bewerber und (nachmaligen) Vorsitzenden der STATT-Partei Markus Wegner hat das Hamburger Verfassungsgericht diese „black box“ des Wahlrechts ausgeleuchtet und in einer Entscheidung vom Mai 1993 unzureichende Möglichkeiten eines Kandidaten zur Vorstellung von Person und Programm als Wahlanfechtungsgrund durchgreifen lassen. Auf Basis dieser Entscheidung könnte man folglich zu dem Ergebnis gelangen, dass auch unterschiedlich lange Vorstellungszeiten der Bewerber einen zur Wahlanfechtung berechtigenden Wahlfehler bilden können. Zur Vermeidung einer erfolgreichen Wahlanfechtung müsste folgerichtig schon der Wahlvorschlag zurückgewiesen werden. Indes birgt auch die Zurückweisung des Wahlvorschlags einige Risiken, denn wenn sich herausstellen sollte, dass der (mutmaßliche) Fehler nicht vorliegt, wäre der Wahlvorschlag zu Unrecht zurückgewiesen und damit das aktive und passive Wahlrecht der Wähler und der zu Wählenden verletzt worden. Dies kann weitere Auswirkungen haben: So ist auf Basis der gegenwärtigen Umfragen eine Regierungsbeteiligung der CDU in Niedersachsen nur in einer großen Koalition möglich, die umso wahrscheinlicher wird, je mehr kleinere Parteien in den Landtag einziehen.

Wollte man jeden Fehler bei der Nominierung von Kandidaten für potentiell erheblich halten, so wären die Parteien aber mit erheblichen Nachweispflichten und die Wahlorgane mit umfassenden Prüfpflichten belastet, ohne dass hierdurch rechtssichere Wahlen gewährleistet wären. Es liegt auf der Hand, dass die Verfassung und das Wahlrecht dies nicht fordern können. So will auch das Bundesverfassungsgericht einen Fehler bei der Kandidatenaufstellung zwar nicht generell für unerheblich halten. Rechtserheblichkeit soll ein solcher Wahlfehler aber nur im Falle der Nichteinhaltung eines „Kernbestandes an Verfahrensgrundsätzen“ beanspruchen können, ohne die ein Kandidatenvorschlag nicht Grundlage einer demokratischen Wahl sein könne (BVerfG, Beschl. v. 20.10.1993 – 2 BvC 2/91, Rn. 44 = E 89, 243, 252 f.). Leider hat das Bundesverfassungsgericht vergessen mitzuteilen, welche Grundsätze und Prinzipien über den ausdrücklich genannten – und auch wahlrechtlich besonders gesicherten – Grundsatz der geheimen Wahl hinaus noch gelten sollen; zumindest das autonome Satzungsrecht der Parteien gehört nicht dazu. Das Landeswahlrecht bildet die verfassungsrechtlichen Vorgaben aber jedenfalls dadurch ab, dass über die Wahlzulassung in einem formalisierten Verfahren entschieden wird, in dem ein Wahlvorschlag grundsätzlich zuzulassen ist, wenn er die in §§ 15 ff. LWahlG Nds. normierten Voraussetzungen erfüllt. Dazu gehört eine eidesstattliche Versicherung, dass die Kandidatenaufstellung in geheimer Wahl erfolgte und die Listenreihenfolge korrekt ist (§ 18 Abs. 4 Satz 2, Abs. 5 Satz 2 LWahlG Nds.). Auf einen etwaigen Fehler bei den Redezeiten kommt es danach nicht an. Ein solcher Fehler bei der Kandidatenaufstellung kann parteiintern kritisiert (und rechtlich angegriffen) werden, bildet aber kein Hindernis für die Zulassung des Wahlvorschlags.

Auch eine nachträgliche Wahlanfechtung nach erfolgter Zulassung hätte im Übrigen nur geringe Erfolgsaussichten: Die Entscheidung des Hamburgischen Verfassungsgerichts ist zu Recht kritisiert worden, weil die Relevanz des angenommenen Wahlfehlers für die Sitzverteilung im Parlament zu Unrecht bejaht wurde, denn entgegen der merkwürdigen Ansicht des Hamburger Verfassungsgerichts (Urt. v. 03.05.1993 – 3/92, Rn. 150 = DVBl. 1993, S. 1070, 1073) kommt es für die sog. „Mandatsrelevanz“ nicht darauf an, wie das Volk in Kenntnis des Wahlfehlers gewählt hätte; maßgeblich ist vielmehr der hypothetische Geschehensablauf ohne Wahlfehler. Dass es zu einer anderen Kandidatenreihenfolge gekommen wäre und sich eine geänderte Reihenfolge auf die Stimmabgabe der Wähler signifikant ausgewirkt hätte, ist aber eher fernliegend.

Ein Kuriosum am Rande bildet der Umstand, dass offenbar selbst Mitglieder der Piratenpartei für die Nichtzulassung des Wahlvorschlags geworben haben. Man kann einer Partei ihre Mitglieder schlecht vorhalten, denn die Mitgliedschaft in einer Partei ist schnell begründet, der Ausschluss eines Mit- glieds gegen seinen Willen demgegenüber an strenge Voraussetzungen (§ 10 Abs. 4 PartG) geknüpft. Ein Mitglied muss hierfür vorsätzlich gegen die Satzung oder erheblich gegen Grundsätze oder Ordnung der Partei verstoßen und ihr damit schweren Schaden zugefügt haben. Parteien sind indes durch ihren Willen zur Mitwirkung an der politischen Willensbildung in Parlamenten und damit die Bereitschaft zur Teilnahme an Wahlen definiert (§ 2 Abs. 1 und 2 PartG). Ein wesentlich stärker parteischädigendes Verhalten als die Vereitelung der Zulassung eines Wahlvorschlags ist daher kaum denkbar.