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Dienstag, 16. Juli 2013

Sicherheit - Ein "Supergrundrecht"?



In der Diskussion um die Abhörpraxis US-amerikanischer Regierungsstellen auch gegenüber Bürgern und Einrichtungen anderer Staaten (sowie suprastaatlicher Organisationen) hat sich der Bundesinnenminister heute auf das Parkett des Verfassungsrechts gewagt: Zur Rechtfertigung dieser Praxis verwies er nicht nur auf Sicherheitsbedürfnisse, vielmehr erklärte er „Sicherheit“ sogleich zum „Supergrundrecht". Man könnte diese Äußerung als verfassungsrechtlichen „Ausrutscher“ sogleich wieder ad acta legen, bestünde nicht Anlass zu der Annahme, dass hier mit Bedacht eine verfassungsrechtliche Argumentation bemüht (genauer: versucht) worden ist. Der Bundesinnenminister reiht sich ein in verschiedene Bemühungen namentlich konservativen Staatsdenkens, mit denen ein "Grundrecht auf Sicherheit" (J. Isensee, 1983) postuliert wurde.

Dem ist entschieden zu widersprechen, denn diese Position rüttelt an den Grundlagen des Verfassungsstaates: „Sicherheit" ist eine klassische Staatsaufgabe, die zu den ursprünglichen Staatszwecken zählt und zu deren Erfüllung das staatliche Gewaltmonopol existiert, dessen Verfolgung durch gesetzliche Regelungen und Inanspruchnahme des Gewaltmonopols aber gerade an den Grundrechten des Einzelnen zu messen ist und damit stets den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips genügen muss. Postuliert man demgegenüber ein „Supergrundrecht" auf Sicherheit, stehen Grundrechte nicht mehr als „Gegengewicht" gegen die Inanspruchnahme staatlicher Macht zur Verfügung. In Rede stünde vielmehr eine „Grundrechtskollision", weil unterschiedliche Grundrechtspositionen gegeneinander abzuwägen wären. Welchem Grundrecht der Vorzug zu geben wäre, wenn ein „Supergrundrecht" bemüht wird, bedarf dann aber keiner Diskussion mehr. Folgerichtig wären auch nur mögliche, angenommene oder befürchtete Gefährdungslagen geeignet, beliebige Grundrechtseinschränkungen zu rechtfertigen.

Die Erklärung eines Staatszwecks zum „Supergrundrecht“ ist deshalb keine verfassungsrechtliche Kleinigkeit, bei der man sich darauf beschränken könnte, sie zum Gegenstand der Diskussion auf Tagungen im akademischen Elfenbeinturm zu machen. Sie markiert vielmehr die Grenze zwischen Rechtsstaat und Obrigkeitsstaat. Zu Recht hat die Bundesjustizministerinheute hervorgehoben, dass die Freiheitsgrundrechte des Grundgesetzes ins Leere liefen und nicht zuletzt der Kernbereich privater Lebensgestaltung schutzlos würde, gäbe es tatsächlich ein verfassungsrechtlich begründetes Grundrecht auf Sicherheit: Die dienende Funktion der Sicherheitspolitik, die den Bürgern die größtmögliche Wahrnehmung ihrer grundrechtlichen Freiheiten garantieren sollte, würde hierdurch umgekehrt. 

Wer Staatszwecke zu (Super-) Grundrechten (v)erklärt, offenbart daher letztlich eine dem Verfassungsstaat abgewandte Grundhaltung. Ein solcher Minister ist im Grunde nicht tragbar.