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Mittwoch, 21. Oktober 2015

Eine Lanze für die „Bild“



Die „Bild“ hat gestern eine Doppelseite einem ausdrücklich als solchen bezeichneten „Pranger“ gewidmet, auf dem eine größere Zahl rechtsgerichteter und / oder fremdenfeindlicher Äußerungen unter Nennung des Namens der Urheber aufgeführt waren, die zunächst in sozialen Netzwerken – namentlich Facebook – veröffentlicht worden sind. In dem Begleittext wird ein Zusammenhang zwischen geistiger Brandstiftung und daran anknüpfenden Taten hergestellt („Aus Haßparolen wird Gewalt“), wie er im Anschluss an das Attentat auf die (zwischenzeitlich gewählte) Kölner OB-Kandidatin H. Reker auch anderweitig formuliert worden ist.

Aber die „Bild“ kann machen, was sie will: Sie macht sich keine Freunde. Zu Recht wird verschiedentlich hervorgehoben, dass es gerade angesichts jahrelanger Desinformationskampagnen (nicht nur) in Bezug auf Muslime gerade der „Bild“ gut anstünde, sich nicht zu sehr über andere zu erheben. Die Angelegenheit wird indes auch aus rechtlichem Blickwinkel kritisiert. So sieht „bildblog“ die „Bild“ im Mittelalter verweilen und kritisiert unter Bezugnahme auf eine anwaltliche Stellungnahme eine Verletzung von Persönlichkeitsrechten und einen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung. Anderswo sieht man das ähnlich: Auf der Website des Kopp-Verlages sieht man ebenfalls die Meinungsfreiheit „zurück im Mittelalter“ und kritisiert eine „Schnellverurteilung“. Auch die sonst üblichen Stichworte im Falle von Kritik an „abweichenden“ Meinungen fehlen dort natürlich nicht („Klima der Angst“, „Denkverbote“, „Zensur“).

Der „bildblog“, heute Arm in Arm mit den rechtsgerichteten Verschwörungstheoretikern vom Kopp-Verlag im tapferen Kampf gegen den Tugendterror der „Bild“ – bewaffnet mit Meinungsfreiheit, Unschuldsvermutung  und Persönlichkeitsrechten? Was ist da los? Ist das Ganze wirklich empörend und auch rechtlich fragwürdig?

Im Ergebnis dann doch eher nicht.

Die „Bild“ veröffentlicht Aussagen von Personen unter Nennung ihres Namens, die von den Urhebern selbst unter Angabe des Klarnamens in einem sozialen Netzwerk veröffentlich wurden.  Es darf daher bezweifelt werden, dass die – zunächst einmal isoliert betrachtete – Veröffentlichung einer von dem Urheber anderweitig veröffentlichen Äußerung in einer Zeitung geeignet ist, die Persönlichkeitsrechte des Urhebers zu verletzen. Wer sich öffentlich äußert, läuft Gefahr und muss damit rechnen, dass andere die Äußerung zur Kenntnis nehmen und auch weitertragen; dies kann dann auch in der „Bild“ geschehen“. Ein schutzwürdiges Interesse, dabei nicht namentlich genannt zu werden, ist ebenfalls nicht ohne Weiteres zu erkennen, wenn die betreffende Äußerung von ihrem Urheber offen unter Angabe des Namens getätigt wurde.

Die weitere Frage ist aber, ob dies auch im Kontext eines „Prangers“ geschehen darf. Indes: Der treuherzige Spruch, man werde irgendetwas „doch noch mal sagen dürfen“, geht typischerweise am Thema vorbei, weil man selbstverständlich alles Mögliche sagen darf, solange die – zu Recht eng gezogenen – Grenzen der Strafbarkeit wegen Beleidigungsdelikten (§§ 185 ff. StGB) oder Volksverhetzung (§ 130 StGB) nicht überschritten werden. Der Wunsch, etwas „noch mal sagen zu dürfen“, zielt daher letztlich darauf ab, etwas auch im Übrigen ungestört und folgenlos – am besten auch noch unkritisiert – sagen zu dürfen.

Das aber ist eine grobe Fehlvorstellung: Wer sich mit Meinungsäußerungen oder gar Statements des von der „Bild“ offengelegten Kalibers in die Öffentlichkeit begibt, kann nicht erwarten, dass derartige Äußerungen unwidersprochen bleiben. Ein Zusammenhang mit der Meinungsfreiheit, mit Zensur oder Denkverboten besteht entgegen dem zielsicher neben der Sache liegenden Kommentar auf der Seite des Kopp-Verlages gerade nicht, denn andere gesellschaftliche Kräfte einschließlich der Medien haben weder Befugnis noch Möglichkeit, das Äußern oder Publizieren von Meinungen zu zensieren oder zu verbieten. Sie sind andererseits aber auch nicht verpflichtet, Äußerungen stets gutzuheißen oder unkommentiert zu belassen. Vielmehr ist es gerade eine Inanspruchnahme der Meinungsfreiheit, die Ablehnung einer Äußerung zum Ausdruck zu bringen oder auch deren Strafwürdigkeit zu postulieren. 

Es besteht daher letztlich auch kein Zusammenhang mit der Unschuldsvermutung: Dass die „Bild“ verbindlich über die Strafbarkeit der inkriminierten Äußerungen entscheiden könne, wird selbst der durchschnittliche „Bild“-Leser nicht annehmen. Auch die Unschuldsvermutung schützt daher nicht davor, dass eine nichtstaatliche Stelle wie die „Bild“ die Ablehnung einer Äußerung zum Ausdruck bringt oder gar deren Strafbarkeit postuliert; ein Übergriff in die Kompetenzen der Strafverfolgungsbehörden steht bei einer Aufforderung zu deren Eingreifen ebenfalls nicht in Rede. Schon logisch unrichtig ist weiter, dass mit der Veröffentlichung der Namen potentieller Straftäter zugleich eine Verurteilung erfolge. So darf bezweifelt werden, dass es ein Anlass für Kritik wäre, wenn jemand erklärte, dass das von dem Schriftsteller A. Pirinçci soeben in Dresden geäußerte Bedauern über den Nichtbetrieb von KZ in Deutschland den Tatbestand der Volksverhetzung erfülle, denn auch eine solche Reaktion auf die Entgleisung dieses Autors wäre selbstverständlich eine Inanspruchnahme der Meinungsfreiheit. Der „Pranger“ der „Bild“ greift auch nicht „tief in die Grundrechte der einzeln aufgeführten Personen ein“. Dies ist schon deshalb gar nicht möglich, weil die „Bild“ nicht zu den Grundrechtadressaten i.S.v. Art. 1 Abs. 3 GG zählt.

Man kann natürlich mit dem „bildblog“ die Frage stellen, was die „Bild“ mit ihrer Aktion bezweckt und ob ein solcher „Pranger“ für irgendetwas gut ist. Im Ergebnis ist der „Bild“ jedenfalls eine Provokation gelungen. Mit „Denkverboten“, „Zensur“ oder Einschränkungen der Meinungsfreiheit hat der „Pranger“ aber nichts zu tun; auch die „Unschuldsvermutung“ oder Persönlichkeitsrechte werden nicht berührt. Ein Grundrechts-Biotop, in dem rassistische Äußerungen kritikfrei gedeihen dürfen, existiert nicht.