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Freitag, 19. Juni 2015

Dobrindt, das Maut-Veto und ein beschlossenes Gesetz



Heute hat Bundesverkehrsminister A. Dobrindt die Erhebung der „Infrastrukturabgabe für die Benutzung von Bundesfernstraßen“ einstweilen auf Eis gelegt, indem die Vorbereitung der Erhebung der PKW-Maut durch Ausschreibung der erforderlichen technischen Systeme bis zu einer etwaigen Entscheidung des EuGH verschoben worden ist. Den Hintergrund bildet das angekündigte Vertragsverletzungsverfahren der Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland. Dobrindt erklärte, weil die Bundesregierung den Gerichtshof achte, halte sie die Maut bis zu dessen Entscheidung zurück; es handele sich um einen "Akt des Respekts" gegenüber dem Gerichtshof.
Damit rückt die Erhebung der PKW-Maut jedenfalls in weite Ferne, falls es dazu überhaupt noch kommt: Selbst wenn der Gerichtshof die Infrastrukturabgabe wider Erwarten durchwinken sollte, werden die entsprechenden Ausschreibungen wohl erst in einigen Jahren erfolgen können – und bis zum Beginn der Mauterhebung weitere Jahre vergehen. Allerdings ist schon unwahrscheinlich, dass der EuGH die schlitzohrige deutsche Argumentation mittragen wird, die Maut werde von allen erhoben, Erhebung sowie Höhe der Kraftfahrzeugsteuer seien aber eine allein nationale Angelegenheit.  Es darf daher gemutmaßt werden, dass die (hohe) Wahrscheinlichkeit einer Niederlage vor dem EuGH den Grund für das Zurückrudern des Ministers bildet. Allerlei verbale Ausfälle von CSU-Politikern gegen die EU waren daher im Lieferumfang ebenfalls enthalten. Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Versuch der CSU, die ganze Nation für ein bayerisches Spezialproblem wie die Mauterhebung in an Bayern angrenzenden Ländern in Geiselhaft zu nehmen, auf sein absehbares Ende zusteuert.
Allerdings bleibt ein kleines Problem, dass größere Aufmerksamkeit verdient hätte: Der Bundestag hat die Infrastrukturabgabe beschlossen und das Gesetz ist nach Ausfertigung durch den Bundespräsidenten und Verkündung im Bundesgesetzblatt (Nr. 22 v. 11.06.2015) am 12. Juni in Kraft getreten. Vor diesem Hintergrund muss aber überraschen, dass sich der Bundesverkehrsminister aus eigener Machtvollkommenheit für befugt hält, über dessen Umsetzung zu entscheiden. Wenn der Bundesgesetzgeber ein Gesetz beschließt, obliegt den zuständigen Exekutivorganen, für dessen Umsetzung auch Sorge zu tragen; eine ministerielles Vetorecht oder gar eine Befugnis zur Umsetzungsverweigerung nach freiem Belieben oder auch aus Respekt vor dem Europäischen Gerichtshof existiert nicht. Daran ändert hier nichts, dass die PKW-Maut nach § 16 des Gesetzes erst erhoben werden soll, wenn nach Schaffung der technischen Voraussetzungen deren Vorliegen „unverzüglich“ festgestellt wurde, denn hieraus folgt gerade die Verpflichtung der zuständigen Behörden und des zuständigen Ministers, ebenso „unverzüglich“ auf diese Schaffung der technischen Voraussetzungen hinzuwirken und dies nicht auf einen Tag in (ferner) Zukunft zu verschieben. Mit der „Aussetzung“ der PKW-Maut mag der Minister daher seinen Respekt vor dem Europäischen Gerichtshof bekunden; Respekt vor dem Gesetzgeber lässt er vermissen.