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Sonntag, 22. November 2015

Das wird man doch wohl noch singen dürfen...



Bislang war der Sänger Xavier Naidoo eher durch eine Form der Betroffenheitslyrik aufgefallen, die von ferne an Gesang gemahnt, bei näherem Hinhören aber nur eine hektische Suche nach Ab- oder Umschaltknöpfen auszulösen vermochte. Dies ist indes eine hinreichende Qualifikation, um von  der öffentlich-rechtlichen Künstlerverwaltung des NDR für eine internationale Veranstaltung ausgesucht zu werden, in der Künstler aus dem Werk- und Wirkbereich der Musik als Repräsentanten ihres Landes in einen bizarren Wettbewerb um Länderpunkte geschickt werden.

Oder auch nicht: Nachdem die Nominierung zum ESC unter Hinweis insbesondere auf zwei Reden, die der Sänger am 3. Oktober 2014 in Berlin gehalten hat, sowie zweifelsfrei antisemitische Textstellen als Teil verschwörungstheoretischen Liedguts („Raus aus dem Reichstag“) in einem auch sonst außerordentlich befremdlichen Œuvre scharf kritisiert worden ist, wurde die Nominierung kurzerhand wiederzurückgezogen

Das soll nun aber auch wieder nicht richtig sein. Es liegt nahe, dass diejenigen, die ohnehin die Annahmen der Reichsbürger und vergleichbarer Verschwörungstheoretiker verbreiten, in der Kritik an der Nominierungsentscheiung und dem nachfolgenden Rückzug des NDR gerade die dunklen Mächte am Werke sehen, auf die auch der Sänger gern verweist. Aber auch anderweitig wird dem NDR nun mangelnde Standfestigkeit vorgeworfen. In diesem Zusammenhang immer wieder gern bemüht: Die Meinungsfreiheit gerade auch des Künstlers.

Das allerdings ist verfehlt: Das Grundrecht der Meinungsfreiheit schützt die Möglichkeit, Meinungen in „Wort, Schrift oder Bild“ sowie auch mittels gesangartiger Darbietungen zu verbreiten. Dieses Recht unterliegt nur äußersten Grenzen zum Schutze kollidierender Rechtsgüter, die durch Art. 5 Abs. 2 GG vorgezeichnet und etwa durch das Strafrecht (Beleidigungsdelikte, Volksverhetzung) konkretisiert werden. Entgegen einer in rechtspopulistischen Kreisen offenbar verbreiteten Sichtweise gehört zum Grundrecht aber weder ein Anspruch auf Gehör noch auf Folgenlosigkeit des eigenen Tuns. 

Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass dem Sangeskünstler Naidoo die Möglichkeit der Verbreitung obskurer Thesen einschließlich in rechten Kreisen wohlfeiler Angriffe gegen Vertreter des politischen Systems in irgendeiner Form genommen würde. Wenn Menschen oder Institutionen eine Meinungsäußerung eines Anderen zur Grundlage von Entscheidungen machen, etwa Verträge nicht schließen, nicht verlängern oder gar kündigen, so verwirklicht sich indes nur ein mit jeder Meinungsäußerung einhergehendes Risiko, vor dem das Grundgesetz unabhängig von der Frage nach den Grundrechtadressaten in keinem Falle schützt. Problematischer ist dies zwar, wenn die öffentliche Verwaltung, zu der auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk gehört, auf Meinungsäußerungen reagiert, da hier eine Neutralitätspflicht auch in Bezug auf Meinungsäußerungen besteht. Dies hindert indes nicht, die Positionen eines Künstlers zu berücksichtigen, wenn dieser als Vertreter der ganzen Nation an einem internationalen Wettbewerb teilnehmen soll, mag dieser auch noch so seltsam sein.

Dass der NDR nach der Auswahl eines ungeeigneten Repräsentanten die Notbremse gezogen hat, ist daher rechtlich nicht zu beanstanden.