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Mittwoch, 3. Februar 2016

Die Potsdamer Pogida-Posse und die Polizei

Seit einiger Zeit versucht ein Potsdamer Ableger der rechtsextremen Pegida-Bewegung ("Pogida"), durch allwöchentlich am Mittwoch stattfindende „Abendspaziergänge“ auf sich aufmerksam zu machen. Zuletzt ist es am 27. Januar einem kleinen Häuflein von einigen Dutzend Personen gelungen, eine Runde durch die Innenstadt zu drehen, nachdem in den vorangegangenen Wochen die Rundgänge an der Zahl der Gegendemonstranten gescheitert waren. Offenbar unter dem Eindruck der Drohung, täglich eine solche Veranstaltung durchzuführen, wurde der „Abendspaziergang“ der be- und umsorgten Bürger von nahezu 1000 Polizeibeamten geschützt, denen es oblag, die Spaziergänger vor 750 Gegendemonstranten zu schützen, die unter Führung des Oberbürgermeisters die Pogida-Aktivisten für unwillkommen erklärten. Der Verkehr wurde zum dritten Mal weiträumig gesperrt und kam folgerichtig erneut zum Erliegen; offenbar wurde durch das geschickte Sperrmanagement der Polizei zudem die Teilnahme anreisender Gegendemonstranten an der Gegenveranstaltung teilweise vereitelt. Für den 3. Februar planen die Aktivisten einen weiteren Demonstrationszug, der erneut ein massives Polizeiaufgebot zur Folge haben wird.

Diese Veranstaltungen werfen eine Reihe von Rechtsfragen auf, die sich immer wieder stellen, gleichwohl aber stets für Kontroversen sorgen.

1.  Für Konflikte sorgt in diesem Zusammenhang regelmäßig die Pflicht von Staat und Kommunen zur Neutralität in politischen Auseinandersetzungen. Neutralität wird durch Auftritte des Oberbürgermeisters oder – in den Wochen zuvor – auch des Ministerpräsidenten bei Gegenveranstaltungen ersichtlich nicht gewahrt. Auch hat das VG Düsseldorf sogar in der Abschaltung der Beleuchtung öffentlicher Gebäude eine Verletzung der Neutralitätspflicht gesehen. Die (fragwürdige) Großzügigkeit, die das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf Erklärungen des Bundespräsidenten an den Tag gelegt hat, ist zudem auf dem Bereich der Verwaltung zuzuordnende Beamte und damit auch (Ober-) Bürgermeister/innen nicht übertragbar.

Gleichwohl wird man einer Stadt, die zur Duldung von Demonstrationen  grundsätzlich unabhängig von den dort verlautbarten Inhalten verpflichtet ist, nicht ohne Weiteres versagen können, sich durch ihre Repräsentanten etwa von ausländerfeindlichen und rassistischen Inhalten zu distanzieren. Auch wenn sich Amtsträger in dieser Eigenschaft nicht auf die Meinungsfreiheit berufen können, existiert eine grundsätzliche Berechtigung staatlicher Stellen zur Teilnahme am Wettbewerb der Meinungen, die sich auch auf Kommunen erstrecken läßt; die Erklärungen des Oberbürgermeisters lassen sich insofern seiner Repräsentations- und Integrationsfunktion zuordnen. Zudem handelt es sich bei den Veranstaltern der „Abendspaziergänge“  typischerweise nicht um institutionell verfestigte Akteure, die – wie wie etwa politische Parteien oder Vereine – einer Überprüfung auf Wahrung des verfassungsrechtlichen Mindestkonsenses zugänglich wären und einen Anspruch auf Gleichbehandlung im Wettbewerb der Meinungen besitzen. Schwierig wird es indes, wenn – wie in Potsdam wohl geschehen – die Stadtverwaltung offensiv zur Teilnahme an einer Gegenveranstaltung aufruft.


2. Das Aufgebot an Einsatzkräften der Polizei, das allwöchentlich aufgrund des Auftretens eines kleinen Häufchens Versprengter herangezogen wurde, führt zu der weiteren Frage, welcher Aufwand zum Schutze der Versammlungsfreiheit eigentlich getrieben werden muss. Zwar setzt die Rechtsprechung einem Verbot von Versammlungen zu Recht enge Grenzen: Die Untersagung einer Versammlung ist ultima ratio, die nur in Betracht kommt, wenn und soweit die Möglichkeit des Schutzes der Versammlung unter Aufbietung verfügbarer und Heranziehung weiterer Kräfte nachweislich nicht besteht, was nur sehr ausnahmsweise der Fall sein kann. Indes hat der Umstand, dass der Veranstalter einer Versammlung als „Nichtstörer“ regelmäßig nicht Adressat einer die grundrechtlich geschützte (Versammlungs-) Freiheit beeinträchtigenden Verfügung sein kann, mit der Frage nach dem geschuldeten Umfang des Schutzes nicht verbotener Veranstaltungen erst einmal nichts zu tun; insoweit geht es vielmehr um die Reichweite grundrechtlicher Schutzpflichten. 

Eine solche Schutzpflicht ist angesichts der Entscheidung des Grundgesetzes für einen öffentlichen Diskurs auch durch Versammlungen und vor dem Hintergrund einer Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit durch gewaltbereite Gegendemonstranten mit Blick auf das staatliche Gewaltmonopol zwar ohne Weiteres zu bejahen. Der Staat hat daher grundsätzlich die Pflicht, die Durchführung von Veranstaltungen im öffentlichen Raum unabhängig von den dort geäußerten Meinungen zu ermöglichen. Auch eine staatliche Pflicht zur Gewährleistung der Versammlungsfreiheit kann indes nicht unbegrenzt sein. Wenn einige Dutzend Demonstranten allwöchentlich oder gar – wie hier im Raum stand – täglich mit Hunderten von Polizeibeamten geschützt werden müssen, wird diese Grenze aber überschritten sein. In Anbetracht einer potentiell rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme des Versammlungsrechts wird daher eine Reduktion des Schutzes - und äußerstenfalls auch ein Versammlungsverbot - in Betracht kommen.