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Samstag, 16. April 2016

Ist Erdogan ein Staatsoberhaupt - oder doch nur "Präsident"?

Durch ihre Entscheidung, die Strafverfolgung gegen den Satirikerdarsteller Böhmermann wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts zu ermöglichen, hat Angela Merkel die Bundesregierung zum willfährigen Handlanger des türkischen Autokraten gemacht. Verständlich ist die Entscheidung nicht, weil

- es im Falle einer anderen Entscheidung gleichwohl zu einer strafrechtlichen Überprüfung der Ausführungen des Herrn Böhmermann am Maßstab des § 185 StGB gekommen wäre, so dass die Zulassung einer Strafverfolgung wegen § 103 StGB nur für das Strafmaß von Bedeutung sein kann;


Um die Eröffnung einer justiziellen Überprüfung der in Rede stehenden Äußerungen geht es daher ebenso wenig wie um Presse-, Kunst oder Meinungsfreiheit. Ohnehin ist durchaus zweifelhaft, ob die Einbettung der für sich genommen zweifelsfrei beleidigenden Verbalinjurien deren Strafbarkeit zu beseitigen vermag. Zwar kann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Verurteilung nur erfolgen, wenn nicht zur Strafbarkeit führende Auslegungen einer Äußerung überzeugend ausgeschlossen werden. Ob dafür aber der vordergründige – und vielleicht auch nur augenzwinkernde – Vorbehalt ausreicht, man wolle durch nachfolgende Pöbeleien allein Beispiele für unzulässige Äußerungen präsentieren, erscheint gleichwohl als zweifelhaft. Dieser zentrale Gesichtspunkt ist mittlerweile auch in einer Reihe von Stellungnahmen herausgearbeitet worden; hingewiesen sei nur auf den Beitrag von A. Thiele im Verfassungsblog. Für die Bundeskanzlerin /-regierung standen aber ersichtlich sachwidrige Erwägungen politischer Rücksichtnahme auf Befindlichkeiten im Vorderpunkt.

Das aber führt zu einer weiteren Frage: Ob es sich nämlich bei dem türkischen Staatschef überhaupt um ein Staatsoberhaupt im Sinne von § 103 StGB handelt. Zwar ist Erdogan vordergründig Präsident der Türkei. Wenn aber der Sondertatbestand des § 103 StGB darin wurzelt, dass mit dem Staatsoberhaupt mittelbar das von diesem repräsentierte Volk beleidigt wird, kann für die Qualifikation einer Person als „Staatsoberhaupt“ nicht außer Betracht bleiben, wie diese zu ihrem Amt gelangt ist. Anders gewendet: Dass sich jemand auf irgendeine Weise des (Präsidenten-) Thrones bemächtigt hat, wird für sich genommen nicht ausreichend sein, es bedarf vielmehr der demokratischen Legitimation. Daran bestehen bei dem türkischen Machthaber aber Zweifel: Zwar ist Erdogan im Jahre 2014 mit rund 52 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt worden. Ausweislich des Berichts der OECD-Wahlbeobachter kann von einer fairen Wahl aber keine Rede sein, weil sich Erdogan in seiner Eigenschaft als Ministerpräsident ungerechtfertigte Vorteile verschafft hat. Eine hinreichende Rechtfertigung, einem solchen Politiker den besonderen Schutz von § 103 StGB angedeihen zu lassen, besteht unabhängig von anderen Bedenken gegen Person und Amtsführung daher nicht.