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Mittwoch, 6. April 2016

Kommunalpolitik für Einsteiger: Mehrheit statt Ahnung

Die Frage der Nutzung zentraler Plätze ist in vielen Städten ein kommunalpolitischer Dauerbrenner. So auch in Osnabrück, wo dies den Neumarkt betrifft, der an einem die Innenstadt teilenden Straßenzug liegt. Dieser Platz soll nach dem Willen der Mehrheit im Rat zur Fußgängerzone umgewidmet werden. Das ruft den Widerstand der CDU-Fraktion hervor, die sich um das Wohl staubedrohter Autofahrer und des gebeutelten Einzelhandels sorgt. Demgegenüber möchte die „Regenbogen-Koalition“ der anderen Ratsmitglieder und -fraktionen den Neumarkt offenbar in ein urbanes Zentrum nach Art einer Flaniermeile umwidmen. Das eine Szenario ist freilich so unrealistisch wie das andere. Insbesondere ist fraglich, ob der Erholungswert eines Platzes besonders hoch sein kann, wenn dort auch künftig – wie geplant – zwischen 1.700 und 2.200 Busbewegungen – die gehandelten Zahlen divergieren hier – pro Tag stattfinden.

Dies mag hier aber dahinstehen: In der Ratssitzung an diesem Dienstag, in der eine entsprechende Beschlussfassung auf der Tagesordnung stand, wurde von der Ratsmehrheit zutreffend betont, dass es sich dabei um eine politische (Abwägungs-) Entscheidung handelt. Gleichwohl könnte es sich bei der getroffenen Entscheidung für die Einleitung eines auf eine Teileinziehung des Platzes gerichteten Verfahrens um ein Eigentor gehandelt haben. Und das liegt an der von Vertretern der (illegalen) rot-grünen Zählgemeinschaft offenbar vertretenen und in deren Redebeiträgen aufscheinenden Annahme, man könne sich durch Mehrheitsbeschluss über geltendes Recht hinwegsetzen. Im Einzelnen:

1. In der Einladung zu der Ratssitzung findet sich als Tagesordnungspunkt Ö 5.12 „Neumarkt - Änderung der Verkehrsbeziehungen“. Dass damit eine Teileinziehung gemeint sein soll, erschließt sich allein aus der Sitzungsvorlage, die allerdings wohl erst nach Ablauf der Ladungsfrist – der genaue Tag ist allerdings unklar – in das Ratsinformationssystem eingestellt wurde. Das begründet Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit der Ladung, denn diese hat eine Doppelfunktion: Die Bezeichnung der Beratungsgegenstände soll den Abgeordneten die Möglichkeit geben, sich auf die Sitzung vorzubereiten und die Öffentlichkeit über beabsichtigte Beschlüsse unterrichten (vgl. Koch in Ipsen [Hrsg.], NKomVG, § 59 Rn. 27). Diese Funktion kann die Ladung aber nicht erfüllen, wenn die beabsichtigte Beschlussfassung nicht hinreichend konkret bezeichnet ist, wie der CDU-Fraktionsvorsitzende in einem Antrag auf Nichtbefassung zutreffend hervorhob. Ebenso unangenehm wie unangebracht war daher die ersichtlich aus völliger Ahnungslosigkeit gespeiste Arroganz, mit der insbesondere der SPD-Fraktionsvorsitzende dem entgegentrat, indem er darauf hinwies, dass die Position seiner Fraktion zu diesem Thema seit langem bekannt sei. Das mag so sein, entbindet aber nicht von der Pflicht zur konkreten Bezeichnung beabsichtigter Beschlüsse bei Beantragung der Aufnahme in die Tagesordnung.

2. Noch unangenehmer für die Ratsmehrheit könnte zudem ein anderer Umstand werden: Sowohl der Flächennutzungsplan als auch der einschlägige Bebauungsplan sehen eine Nutzung des Platzes als Fläche für den Durchgangs- bzw. Straßenverkehr vor. Im Flächennutzungsplan ist von einer „Durchgangsstraße“, im Bebauungsplan ist von einer „Verkehrsfläche“ die Rede; damit wird erkennbar § 9 Abs. 1 Nr. 11 Var. 1 BauGB in Bezug genommen. Die jetzt auf den Weg gebrachte Maßnahme zielt demgegenüber auf eine Verkehrsfläche besonderer Zweckbestimmung im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 11 Var. 2 BauGB. Das führt zu der Frage, ob sich eine straßenrechtliche Maßnahme in Widerspruch zu den Vorgaben der Bauleitplanung setzen darf. Hierzu wurde eine gutachtliche Stellungnahme einer Kölner Anwaltskanzlei eingeholt, die zu dem Ergebnis gelangt, dass die Umwandlung des Neumarkts in eine Fußgängerzone keine vorgängige Änderung des Bebauungsplanes erfordere (hier nicht verlinkt – abrufbar im öffentlich zugänglichen Teil des Osnabrücker Ratsinformationssystems in den Unterlagen zu TOP Ö.5.12 der Sitzung vom 05.04.16). In der Stellungnahme wird indes nur dargelegt, dass die straßenrechtlichen Vorschriften über die Widmung oder Einziehung keine entsprechende Festsetzung voraussetzen (S. 9 f.). Das mag so sein, beantwortet aber nicht die Frage, ob sich das Straßenrecht in Widerspruch zu existierenden planerischen Festsetzungen setzen darf. Dazu verhält sich das Gutachten aber nicht, da der Widerspruch zu den planerischen Festsetzungen schlicht in Abrede gestellt wird (S. 8). Das Rechtsamt der Stadt zeigte sich daher von den Ausführungen in dem Gutachten nicht überzeugt; der Vertreter der Verwaltung erklärte in der Sitzung, dass eine vorgängige Änderung der Bauleitplanung als erforderlich angesehen werde – zu Recht. 


Auch darüber setzte sich die Ratsmehrheit sodann zügig hinweg. Der Fraktionsvorsitzende der Grünen verlieh darüber hinaus der Erwartung Ausdruck, dass die Verwaltung den Beschluss auch umsetze; allenfalls könne der Oberbürgermeister sich bei der Kommunalaufsicht beschweren. Auch das ist unrichtig: In Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises hat der / die Hauptverwaltungsbeamte / -beamtin ein eigenes Einspruchsrecht, dass aufschiebende Wirkung entfaltet und zu einer neuen Beschlussfassung zwingt (§ 88 Abs. 1 S. 2, 3 und 5 NKomVG). Es bleibt abzuwarten, ob der Oberbürgermeister zu diesem Mittel greifen wird – und es ist unbedingt zu wünschen.