Für ein erfolgreiches Bürgerbegehren auf
Durchführung eines Bürgerentscheids hat der Gesetzgeber in Niedersachsen bislang
hohe Hürden errichtet. Insbesondere an den erforderlichen Kostendeckungsvorschlag
(§ 32 Abs. 3 Satz 2 NKomVG) stellt die Rechtsprechung so hohe Anforderungen,
dass sie bei komplexeren Vorhaben in der Praxis von den Organisatoren eines Bürgerentscheids
kaum erfüllt werden können. So hat es in Niedersachsen in den letzten 20 Jahren
nach Feststellungen von „Mehr Demokratie e.V.“ nur knapp über 300 Bürgerbegehren
(also rund 15 p.a.) gegeben; in Bayern waren es fast 10 Mal so viele. Von den
Bürgerbegehren wurde wiederum fast die Hälfte für unzulässig erklärt; zumeist
wegen Mängeln des Kostendeckungsvorschlags.
Zuständig für die Entscheidung über die Zulässigkeit
eines Bürgerbegehrens ist nach der Niedersächsischen Kommunalverfassung der Hauptausschuss
(§ 32 Abs. 7 NKomVG). Es entscheidet mithin ein Kollegialorgan, was Mehrheitsbeschlüsse
zur Folge haben kann. Gleichwohl handelt es sich um einen reinen Akt der Rechtsanwendung,
was wegen der Art der Beschlussfassung gelegentlich in der Hintergrund geraten
kann.
1. Ein Beispiel hierfür bildet ein Beschluss des Hauptausschusses des Landkreises Aurich, mit dem im Frühjahr ein Bürgerbegehren
zum Erhalt von Krankenhausstandorten für unzulässig erklärt wurde. Die
Entscheidung fiel mit 6 zu 4 Stimmen bei einer Enthaltung. In der Diskussion über
den Beschluss spielte insbesondere die Frage eine Rolle, ob die Bürger an
Entscheidungen betreffend die Zukunft der Krankenhäuser beteiligt werden
sollen.
Diese Frage stellt sich allerdings in Zusammenhang
mit der Beschlussfassung über die Zulässigkeit eines konkreten Bürgerbegehrens
nicht. Vielmehr kommt es allein darauf an, ob das in Rede stehende Bürgerbegehren die Zulässigkeitsvoraussetzungen aus § 32 NKomVG erfüllt. Ursächlich für das Abstimmungsergebnis sollen denn auch Mängel des
Kostendeckungsvorschlags gewesen sein. Der Landrat des Landkreises Aurich hatte
im Vorfeld der Beschlussfassung erklärt, die Initiatoren hätten nicht
dargelegt, wie vorhandene Krankenhausstandorte in Aurich und Norden auf wirtschaftlich vertretbare Weise geführt werden könnten.
Auch
diese Frage stellt sich indes nicht: Der Kostendeckungsvorschlag bezieht sich
vielmehr auf Mehrkosten oder Mindereinnahmen infolge der mit dem Bürgerbegehren
angestrebten Entscheidung und damit einen Vergleich der bei Umsetzung und
Nichtumsetzung entstehenden Kosten.
Erstaunlich
ist auch das Vorliegen einer Enthaltung, die dem Vernehmen nach durch den Landrat
erfolgt ist. Das muss überraschen, denn es erscheint fernliegend, dass ein erfahrener
und langgedienter Volljurist und Kommunalpolitiker sich nicht in der Lage
sieht, die Rechtsfrage nach der Zulässigkeit eines Bürgerbegehrens abschließend
zu beurteilen; auch sollte die Kreisverwaltung erforderlichenfalls
Hilfestellung geben können. Jedenfalls zeigt sich, dass die von der rot-grünen Landtagsmehrheit geplante
Abschaffung des Erfordernisses eines Kostendeckungsvorschlags schon deshalb in
die richtige Richtung zielt, weil sie geeignet ist, mit der Materie nicht
vertraute Personen zu überfordern.
2.
Allerdings hat der Vorgang in Aurich noch eine besondere Pointe: Da das
Abstimmungsverhalten einzelner Mitglieder des in nichtöffentlicher Sitzung
tagenden Kreisausschusses offenbar bekannt geworden ist, initiierte der Landrat
einen im Juni auch tatsächlich gefassten Beschluss des Kreistags, mit dem ein
in der Weitergabe dieser Information durch Teilnehmer des Kreisausschusssitzung
liegender Verstoß gegen die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit gerügt wurde.
Indes
fehlt es hier an einer Befugnis des Kreistages, das Verhalten einzelner Mitglieder
des Kreistages oder des Hauptausschusses zu missbilligen. Zwar hat das Niedersächsische
Oberverwaltungsgericht in einer außerordentlich fragwürdigen Entscheidung aus
dem Jahre 2012 (Urteil
vom 27.06.2012, 10 LC 37/10) entschieden, dass eine Ermahnung, Rüge oder Missbilligung
des bisherigen Verhaltens als „Ordnungsmaßnahme mit spezial- und
generalpräventivem Charakter“ und „Maßnahme unterhalb einer Sanktion“ in die
Rechte eines Mitglieds der Vertretung nicht in einem solchen Maße eingreife, dass
es hierfür einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage bedürfte (Rn. 41). Etwas
sperrig wird formuliert: „Das Recht eines Kollektivorgans, die Maßnahmen zu
ergreifen, die es zum Erhalt und zur Wiederherstellung seiner
Funktionsfähigkeit und inneren Ordnung für geboten hält, bedarf über die aus
dem den Gemeinden verfassungsrechtlich garantierten Selbstverwaltungsrecht ... hergeleiteten
Befugnis, sich zu Angelegenheiten, die die örtliche Gemeinschaft - hier das
Selbstorganisationsrecht - betreffen, zu äußern und ein damit zusammenhängendes
Verhalten oder einen Vorgang zu würdigen, keiner speziellen Rechtsgrundlage“ (Rn.
42). Diese Aussagen wurden aber auf den Fall beschränkt, dass sich die Vertretung
dafür entscheidet, einen nur als „Ermahnung“ gedachten und in nichtöffentlicher
Sitzung getroffenen Missbilligungsbeschluss nicht zu veröffentlichen, um das
Maß der Auswirkungen für das betroffene Mitglied möglichst gering zu halten.
Demgegenüber beanstandete der Kreistag des Landkreises Aurich nach Maßgabe des
Diskussionsverlaufes die Bekanntmachung der Ergebnisse von Abstimmungen im
Kreisausschuss durch unbekannt gebliebene Personen. Das
ist gleich doppelt problematisch: Zum einen ist die Geheimhaltungsbedürftigkeit
eines Abstimmungsergebnisses nach Maßgabe der erwähnten Entscheidung des
Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts nur dann gegeben, wenn der
Beratungsgegenstand in nichtöffentlicher Sitzung zu behandeln wäre (Rn. 49). Zum
anderen bezieht sich die Missbilligung nicht auf eine konkrete Person, sondern
potentiell jeden, der bei der Sitzung des Kreisausschusses anwesend war. Auch
wurde der Beschluss des Kreistags in öffentlicher Sitzung gefasst und in der Öffentlichkeit diskutiert.
Das hier gewählte Vorgehen ist daher von der (Fehl-) Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts aus dem Jahre 2012 nicht einmal gedeckt.