Seit einiger Zeit versucht ein Potsdamer Ableger der
rechtsextremen Pegida-Bewegung ("Pogida"), durch allwöchentlich am Mittwoch stattfindende „Abendspaziergänge“
auf sich aufmerksam zu machen. Zuletzt ist es am 27. Januar einem kleinen Häuflein von einigen Dutzend Personen gelungen, eine Runde durch die Innenstadt zu drehen, nachdem in den vorangegangenen Wochen die Rundgänge an der Zahl der
Gegendemonstranten gescheitert waren. Offenbar unter dem Eindruck der Drohung,
täglich eine solche Veranstaltung durchzuführen, wurde der „Abendspaziergang“
der be- und umsorgten Bürger von nahezu 1000 Polizeibeamten geschützt, denen es
oblag, die Spaziergänger vor 750 Gegendemonstranten zu schützen, die unter
Führung des Oberbürgermeisters die Pogida-Aktivisten für unwillkommen
erklärten. Der Verkehr wurde zum dritten Mal weiträumig gesperrt und kam
folgerichtig erneut zum Erliegen; offenbar wurde durch das geschickte
Sperrmanagement der Polizei zudem die Teilnahme anreisender
Gegendemonstranten an der Gegenveranstaltung teilweise vereitelt. Für den 3. Februar planen die Aktivisten einen weiteren Demonstrationszug, der erneut ein massives Polizeiaufgebot zur Folge haben wird.
Diese Veranstaltungen werfen eine Reihe von Rechtsfragen
auf, die sich immer wieder stellen, gleichwohl aber stets für
Kontroversen sorgen.
1. Für
Konflikte sorgt in diesem Zusammenhang regelmäßig die Pflicht von Staat und Kommunen
zur Neutralität in politischen Auseinandersetzungen. Neutralität wird durch
Auftritte des Oberbürgermeisters oder – in den Wochen zuvor – auch des
Ministerpräsidenten bei Gegenveranstaltungen ersichtlich nicht gewahrt. Auch hat das VG Düsseldorf sogar in der Abschaltung der Beleuchtung öffentlicher Gebäude eine Verletzung der Neutralitätspflicht gesehen. Die (fragwürdige)
Großzügigkeit, die das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf Erklärungen des Bundespräsidenten an den Tag gelegt hat, ist zudem auf dem Bereich der
Verwaltung zuzuordnende Beamte und damit auch (Ober-) Bürgermeister/innen nicht
übertragbar.
Gleichwohl wird man einer Stadt, die zur Duldung von
Demonstrationen grundsätzlich unabhängig
von den dort verlautbarten Inhalten verpflichtet ist, nicht ohne Weiteres
versagen können, sich durch ihre Repräsentanten etwa von ausländerfeindlichen
und rassistischen Inhalten zu distanzieren. Auch wenn sich Amtsträger in dieser Eigenschaft nicht auf die Meinungsfreiheit berufen können, existiert eine grundsätzliche Berechtigung staatlicher
Stellen zur Teilnahme am Wettbewerb der Meinungen, die sich auch auf Kommunen erstrecken läßt; die Erklärungen des Oberbürgermeisters lassen sich insofern seiner Repräsentations- und Integrationsfunktion zuordnen. Zudem handelt es sich bei den Veranstaltern der „Abendspaziergänge“ typischerweise nicht um institutionell verfestigte Akteure, die – wie wie etwa politische Parteien oder Vereine – einer Überprüfung auf Wahrung des verfassungsrechtlichen Mindestkonsenses zugänglich wären und einen Anspruch auf Gleichbehandlung im Wettbewerb der Meinungen besitzen. Schwierig wird es indes, wenn – wie in Potsdam wohl geschehen – die Stadtverwaltung offensiv zur
Teilnahme an einer Gegenveranstaltung aufruft.
2. Das
Aufgebot an Einsatzkräften der Polizei, das allwöchentlich aufgrund des
Auftretens eines kleinen Häufchens Versprengter herangezogen wurde, führt zu
der weiteren Frage, welcher Aufwand zum Schutze der Versammlungsfreiheit eigentlich
getrieben werden muss. Zwar setzt die Rechtsprechung einem Verbot von
Versammlungen zu Recht enge Grenzen: Die Untersagung einer Versammlung ist
ultima ratio, die nur in Betracht kommt, wenn und soweit die Möglichkeit des
Schutzes der Versammlung unter Aufbietung verfügbarer und Heranziehung weiterer
Kräfte nachweislich nicht besteht, was nur sehr ausnahmsweise der Fall sein
kann. Indes hat der Umstand, dass der Veranstalter einer Versammlung als
„Nichtstörer“ regelmäßig nicht Adressat einer die grundrechtlich geschützte
(Versammlungs-) Freiheit beeinträchtigenden Verfügung sein kann, mit der Frage nach dem geschuldeten Umfang des
Schutzes nicht verbotener Veranstaltungen erst einmal nichts zu tun; insoweit
geht es vielmehr um die Reichweite grundrechtlicher Schutzpflichten.
Eine
solche Schutzpflicht ist angesichts der Entscheidung des Grundgesetzes für
einen öffentlichen Diskurs auch durch Versammlungen und vor dem Hintergrund
einer Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit durch gewaltbereite
Gegendemonstranten mit Blick auf das staatliche Gewaltmonopol zwar ohne Weiteres zu bejahen. Der Staat hat daher grundsätzlich die Pflicht, die Durchführung von Veranstaltungen im öffentlichen Raum unabhängig von den dort geäußerten Meinungen zu ermöglichen. Auch eine staatliche Pflicht zur Gewährleistung der
Versammlungsfreiheit kann indes nicht unbegrenzt sein. Wenn einige Dutzend
Demonstranten allwöchentlich oder gar – wie hier im Raum stand – täglich mit
Hunderten von Polizeibeamten geschützt werden müssen, wird diese Grenze aber
überschritten sein. In Anbetracht einer potentiell rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme des Versammlungsrechts wird daher eine Reduktion des Schutzes - und äußerstenfalls auch ein Versammlungsverbot - in Betracht kommen.