Es gibt vieles, was für mehr direktdemokratische Elemente
auf kommunaler und staatlicher Ebene spricht. Und es gibt ein entscheidendes Argument
dagegen: Bürger- und Volksentscheide können anders ausgehen, als es Politikern
gefällt. Und allein dieses Argument ist aus der Sicht der Politik erheblich, wie
ein heute publiziertes Statement des Oberbürgermeisters von Emden augenfällig werden
lässt.
Zum Hintergrund: In der Stadt Emden und im Landkreis Aurich
haben am vergangenen Sonntag jeweils Bürgerentscheide stattgefunden, mit denen gefragt
wurde, ob die (zwei) vorhandenen Krankenhäuser im Landkreis Aurich bzw. das
städtische Krankenhaus in Emden erhalten bleiben sollen; die Alternative war
die Errichtung eines Zentralklinikums auf der „grünen“ (und möglicherweise naturschutzrechtlich
geschützten) Wiese für Kosten von 250 Millionen bis (wohl realistischer) mehr
als 500 Millionen Euro. Während im Landkreis Aurich eine Mehrheit für die Errichtung
einer Art „Küsten-BER“ votierte, sprachen sich in Emden fast zwei Drittel der
Abstimmenden für den Erhalt ihres Krankenhauses aus. Da das Projekt
realistischerweise nur im Zusammenwirken der Kommunen realisierbar ist – die Errichtung
nur durch ein Kommune dürfte wegen Unvereinbarkeit mit der Leistungsfähigkeit
der Kommune sogar unzulässig sein –, hatten die Initiatoren der Bürgerbegehren damit
in der Sache zwei „Schüsse“ frei – und haben einmal getroffen.
Das hat der Oberbürgermeister von Emden, dessen Partei – die
SPD – bei den Kommunalwahlen im vergangenen Herbst schon einen der größten Einzelverluste
in der Parteigeschichte eingefahren hat (> - 20 %), nunmehr veranlasst, „Klartext“
zu reden. In einem Artikel in der „Ostfriesen-Zeitung“ (online nicht verfügbar)
holt er zu einem Rundumschlag aus, mit dem er deutlich macht, was ihn stört: Dass
die tumben Bürger seiner Stadt gegen ihn entschieden haben, obwohl er es doch so
viel besser weiß. Im Einzelnen:
Der Oberbürgermeister kritisiert die Fragestellung, die auf
ein „Ja“ zum Erhalt des vorhandenen Krankenhauses gerichtet und deshalb nicht „objektiv“
gewesen sei. Denn: Wer könne dazu schon „Nein“ sagen? Die Antwort lautet:
Jeder, der ein anderes Krankenhaus will. In der Sache erklärt der Bürgermeister
lediglich die Abstimmenden für zu dumm, die Implikationen der Fragestellung zu
verstehen. Zudem beschränkt die Fragestellung auch die Reichweite der (einen
Ratsbeschluss ersetzenden) Sachentscheidung; die Handlungsfähigkeit der Politik
wird daher auch nur in diesem Umfang beschränkt. Aber natürlich wäre es aus der
Sicht eines Mitglieds einer sozialdemokratischen Funktionärskaste
vorzugswürdig, wenn man den Menschen die Fragestellung vorschreiben könnte.
Darauf zielt denn auch ein weiterer Einwand des Oberbürgermeisters,
der daran anknüpft, dass es ursprünglich jeweils zwei Bürgerbegehren gegeben
hatte, da auch die Befürworter der Zentralklinik ein solches eingereicht
hatten. Die Fragestellung war daher die Folge eines „Windhundrennens“, weil die
Verwaltungen die Vorgabe gemacht hatten, nur das Bürgerbegehren zuzulassen, das
zuerst die nötigen Unterstützungsunterschriften einreicht. Hier liegt ein erster
Skandal, denn dieses „Windhundrennen“ ist nur einer von zahlreichen
Rechtsbrüchen, die sich die Verwaltung(en) im Vorfeld des Bürgerentscheids
geleistet haben. Das begann bereits im Vorfeld mit einer nicht entsprechend den
Vorgaben der Kommunalverfassung vorbereiteten Beschlussfassung über die
Errichtung der Zentralklinik (zumindest im Landkreis Aurich) und endete (vorläufig)
mit einer Selbstermächtigung des Emder Rates zu einseitiger Wahlpropaganda im
Abstimmungslokal durch Aushang einer (ablehnenden) Stellungnahme zur
Fragestellung. In diesen Rahmen gehört aber auch das in der Kommunalverfassung
gar nicht vorgesehene (und entgegen einem Hinweis des Innenministeriums auf die
Rechtslage) veranstaltete „Windhundrennen“, dessen besonderer Effekt es ist,
dass die Initiatoren des Bürgerbegehrens den für die Sammlung von Unterschriften
zur Verfügung stehenden Zeitraum nicht ausschöpfen konnten, weil sie damit
rechnen mussten, dass das gegenläufige Begehren die Unterschriften eher
einreicht und dann die Zulassung des eigenen Begehrens allenfalls auf dem
umständlichen, zeitaufwändigen und kostenintensiven Weg des verwaltungsgerichtlichen
Rechtsschutzes erstritten werden kann. Um dem die Krone aufzusetzen, hat dann
die Stadt Emden noch versucht, durch Nichtanerkennung richtigerweise als gültig
zu bewertender Unterschriften die Erreichung des notwendigen Quorums zu
vereiteln, was nur knapp gescheitert ist. Nunmehr kritisiert der Oberbürgermeister
von Emden aber ausgerechnet dieses Windhundrennen, weil es zu einer falschen
Fragestellung geführt habe. Hier offenbart sich ein zutiefst gestörtes
Verhältnis zur intellektuellen Redlichkeit.
Schließlich hadert der Oberbürgermeister „mit der kommunalen
Trennung bei der Befragung“ (so die OZ), weil die Addition der Stimmen in Emden
und im Landkreis eine knappe Mehrheit für die Zentralklinik ergeben habe. Nach seiner
Auffassung hätte daher möglich sein müssen, einen Entscheid durchzuführen. Das
ist nicht nur wegen der auf Emden bezogenen Fragestellung grotesk: Die
kommunale Zusammenarbeit ist dadurch gekennzeichnet, dass unterschiedliche Kommunen
zusammenarbeiten. Über eine Zusammenarbeit muss daher jede Kommune zunächst selbst
entscheiden. Das ist so selbstverständlich und banal, dass ein Vorschlag, über
die Zusammenarbeit auf der übergeordneten Ebene der beteiligten Kommunen zu entscheiden,
wegen der Möglichkeit einer Entscheidung gegen den Willen einer der beteiligten
Kommunen mit der Gewährleistung kommunaler Selbst-(!) Verwaltung von vornherein
nicht zu vereinbaren wäre. Wer anderes will, muss den Kommunen die jeweilige
Zuständigkeit entziehen oder kommunale Selbstverwaltung abschaffen.
Letztlich zeigen die Äußerungen des Emder Oberbürgermeisters
daher, wo dessen (persönliches) Problem liegt: Auch in der Kommunen ist der
Bürger der Souverän. Das ist lästig, von Politikern aber zu akzeptieren – ob sie
wollen oder nicht. Wer das nicht kann, sollte zurücktreten.